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Fleischmann-Swertz, Tilly, * 2. April 1882 Cork, † 17. Oktober 1967 Cork, Pianistin, Klavierlehrerin, Organistin, Korrepetitorin, Chorleiterin, Musikschriftstellerin

1   Biographische Notizen

Abb. 1 – Tilly Swertz im Jahr 1901
Quelle: Familie Fleischmann

Tilly Fleischmann wuchs als zweites von neun Kindern des katholischen Domkapellmeisters Hans Conrad Swertz im irischen Cork auf. Ihre Eltern waren Deutsche und hatten zuvor in Dachau bei München gelebt. Fleischmann besuchte von 1887 bis 1899 das St Angela’s Ursuline College Cork. Ersten Orgelunterricht erhielt sie seit 1890 von ihrem Vater, gleichzeitig nahm sie an der Cork Municipal School of Music Klavierstunden. Im September 1901 wurde Fleischmann an der Akademie der Tonkunst in München aufgenommen und studierte fortan die Fächer Orgel und Klavier, Orgel bei Josef Becht, Klavier bei Berthold Kellermann und Bernhard Stavenhagen, einem vormaligen Schüler Franz Liszts.

Abb. 2 – Familie Swertz im Jahr 1901, Tilly Swertz vorne links
Quelle: Familie Fleischmann

In Dachau, wo die Familie ihrer Mutter lebte und ihr Vater einst als Kirchenmusiker gearbeitet hatte, lernte sie den damaligen Kirchenmusiker des Marktes, Aloys Fleischmann, kennen, der zum Zeitpunkt ihres Studienbeginns sein eigenes Studium bei Joseph Rheinberger gerade abgeschlossen hatte. Fleischmann war der Sohn des Schuhmachers und Innungsmeisters Alois Fleischmann und in Dachau aufgewachsen. Unter den Dachauer Bürgern hatte er viele Unterstützer; mit großem organisatorischem Einsatz und Geschick, mit musikpädagogischer Weitsicht und kompositorischem Können erwarb Fleischmann das Ansehen wichtiger Persönlichkeiten der damaligen Dachauer Künstlerkolonie. Gegen anfängliche Vorbehalte Hans Conrad Swertz‘ heirateten Aloys und Tilly Fleischmann am 13. September 1905 in Dachau und lebten für ein Jahr in Fleischmanns Elternhaus.

Abb. 3 – Aloys und Tilly Fleischmann im Jahr 1908
Quelle: Familie Fleischmann

Im August 1906 siedelte das Paar nach Cork über: Tilly Fleischmanns Vater war nicht bereit, die im Motu Proprio Tra le sollecitudini von Papst Pius X. aus dem Jahr 1903 geforderte Reform der Kirchenmusik zu Gunsten des Gregorianischen Chorals und der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts umzusetzen, da dies das Ende seines erfolgreichen gemischten Chores bedeutete. Familiäre Spannungen sowie finanzielle Probleme traten hinzu, und Swertz wanderte, nachdem ihm eine Organistenstelle in Philadelphia angeboten worden war, in die USA aus, während seine Familie in Cork blieb. Tilly und Aloys Fleischmann mussten fortan das Einkommen der Familie Swertz sichern, die Übersiedelung von Dachau nach Cork war somit unabdingbar. Tilly und Aloys Fleischmann rechneten mit einer Auswanderung auf Zeit; Aloys Fleischmanns Intenierung durch die Briten während des Ersten Weltkrieges sowie dessen politische und wirtschaftliche Folgen aber machten eine Rückkehrt nach Deutschland unmöglich.

2   Pianistisches und musikschriftstellerisches Wirken

Tilly Fleischmann war durch ihr Studium stark von der Lisztschen Klavierschule geprägt, sowohl was ihr eigenes Spiel, als auch was ihr Unterrichten anbelangt. Wie intensiv sich Tilly Fleischmann mit dieser pianistischen Tradition auseinandersetzte, zeigen ihre Mitgliedschaft (als sogenanntes korrespondierendes Mitglied) in der Liszt Society und ihre Studie The Tradition and Craft of Piano Playing, welche 1991 gekürzt unter dem Titel Aspects of the Liszt tradition erschien. Das Buch enthält nicht nur musikalische Analysen zu einigen Lisztschen Klavierwerken, sondern umfasst auch eine exakte Beschreibung der Unterrichtsmethoden und technische Übungen nach Franz Liszt bzw. Stavenhagen und Kellermann. Die Übungen, welche Tilly Fleischmann dabei vermittelt, haben das Ziel, die motorische Unabhängigkeit und Kraft der Finger zu trainieren. Insbesondere der Aspekt der Kraft scheint dabei geradezu typisch für Fleischmanns Spiel, denn noch heute berichten ehemalige Schüler, sie habe am Klavier einen recht kernigen Ton gepflegt.

Zeitlebens trat Tilly Fleischmanns als Pianistin und Begleiterin auf. In Dachau wirkte sie an von ihrem Mann veranstalteten Konzerten sowie seinen Dachauer Weihnachtsspielen mit. Auch in München galt Fleischmann als aufstrebende, vielversprechende Pianistin: Regelmäßig spielte sie bei Vortragsabenden an der Akademie und bei öffentlichen Konzerten. Sie führte unter anderem Schumanns Klavierkonzert unter der Leitung von Felix Mottl und Carl Maria von Webers Konzertstück in f-Moll für Klavier und Orchester unter der Leitung von Bernhard Stavenhagen auf.

Als das Paar nach Cork übersiedelte, war Fleischmann mit ungewohnten Rahmenbedingungen konfrontiert. Cork konnte zu jener Zeit mit München in keiner Beziehung den kulturellen Vergleich aufnehmen. Deshalb kehrte sie schon wenige Jahre später, im Herbst 1909, wieder nach München zurück, um sich dort als Pianistin durchzusetzen und auch das Terrain für eine Rückkehr der Familie zu sondieren. Doch der Erfolg stellte sich in beiden Fällen nicht ein. Trotz großer Unterstützung, etwa durch Kellermann, und einiger positiver Kritiken in München und Leipzig charakterisierte der Musikkritiker Arthur Hahn in der Münchner Zeitung Fleischmanns Spiel als nicht überzeugend, was der jungen Künstlerin sehr zusetzte. Nicht zuletzt aber war sie bei ihrer Rückkehr nach München bereits schwanger und brachte schließlich am 13. April 1910 ihren Sohn Aloys Fleischmann d.J. zur Welt. Ihr Mann war während dieser Zeit beruflich in Cork gebunden. Seine feste Stellung war die finanzielle Sicherheit der Familie. Tilly Fleischmann kehrte deshalb mit ihrem Sohn bald nach Irland zurück.

Fleischmann war in Irland eine große Persönlichkeit des Musiklebens: Bis in die fünfziger Jahre konzertierte sie regelmäßig in Cork und Dublin, solistisch sowie als Klavierbegleiterin und in Kammermusikbesetzungen. Für den irischen Rundfunk, Radio Éireann, spielte sie ab 1927 zahlreiche Klavierwerke ein. Sie war die erste irische Pianistin, die Klavierwerke für die BBC aufnahm. Diese Präsenz im Rundfunk war sicher entscheidend für Fleischmanns Bekanntheit.

3   Kontakte zu bekannten Persönlichkeiten

Abb. 4 – Aloys Fleischmann, Arnold Bax und Tilly Fleischmann im Jahr 1936
Quelle: Familie Fleischmann

Ihr unmittelbares Wirkungsfeld aber lag in Cork. Hier genossen die Fleischmanns auch persönlich hohes Ansehen, hatten einflussreiche Freunde, sowohl unter den katholischen Republikanern als auch aus dem britisch-protestantischen Landadel. Unter ersteren waren Protagonisten des irischen Freiheitskampfes wie die Politiker und Schriftsteller Terence MacSwiney und Daniel Corkery. 1929 führte Tilly Fleischmanns Engagement als Mitbegründerin des Festivals für irische Musik, Feis Maitiú, zur Freundschaft der Familie Fleischmann mit dem britischen Komponisten Arnold Bax, die bis zu dessen Tod fortbestand. Über den Kontakt mit Arnold Bax erschienen im Newsletter der British Music Society von Tilly Fleischmann verfasste Memoiren.

4   Pionierrolle einer modernen Frau

Tilly Fleischmann verkörperte mit ihrer starken Persönlichkeit ein modernes Frauenbild. Immer wieder lässt der Blick auf ihre Leistungen und ihre Lebensplanung erkennen, wie sie damalige, das weibliche Geschlecht einschränkende Regelungen ad absurdum führte: Als Aloys Fleischmann im Kriegsgefangenenlager interniert war, übernahm Tilly Fleischmann neben der alleinigen Erziehung des Sohnes sowie neben ihren pianistischen und klavierpädagogischen Aufgaben auch die beruflichen Pflichten ihres Mannes an der Kathedrale in Cork: das Orgelspiel und die Leitung des Domchores. Ausdrücklich stimmte der Bischof zu, dabei war seit dem Motu Proprio von 1903 Frauen die Mitwirkung im Kirchenchor eigentlich verboten. Tilly Fleischmann leitete also über mehrere Jahre einen Chor, in dem sie selbst gemäß päpstlichem Erlass nicht hätte singen dürfen.

5   Musikpädagogisches Wirken

Insbesondere wirkte Tilly Fleischmann jedoch als Klavierlehrerin: Von 1919 bis 1937 war sie Professorin der Klavierklasse an der Cork Municipal School of Music, doch bereits zuvor und bis an ihr Lebensende arbeitete sie als private Klavierpädagogin. Begonnen hatte sie damit schon in Dachau und München; nach ihrem Ausscheiden aus dem Lehrerkollegium der Musikschule in Cork betrieb sie sogar ihre eigene Klavierschule, die Tilly Fleischmann School of Piano Playing, gab an vier Tagen in der Woche Unterricht. Auf ihrem Niveau konnten damals in Irland nur wenige unterrichten. Und so strömten ihr zahlreiche Schüler zu. Tilly Fleischmann war die Instanz für guten, hochklassigen Unterricht; die Anforderungen an ihre Schüler waren dementsprechend hoch, die Lehrerin freundlich, aber streng. Dass Tilly Fleischmann dabei nicht nur Praktikerin, sondern vielmehr auch eine klavierpädagogische Methodikerin auf hohem Niveau war, zeigt ihr schon erwähntes Buch über die Lisztsche Klaviertechnik.

6   Abschließende Würdigung

Abb. 5 – Tilly Fleischmann im Jahr 1965
Quelle: Familie Fleischmann

Durch ihr jahrzehntelanges Wirken leistete Tilly Fleischmann einen immensen Beitrag zum kulturellen Leben in Cork und Irland und arbeitete mit ihrem Mann sowie mit ihrem Sohn, der seit 1934 am University College Cork Professor für Musik war, unablässig daran, bei der Bevölkerung ein Interesse für klassische Musik zu wecken, zu fördern und für ein möglichst hochwertiges kulturelles Angebot zu sorgen. Tilly Fleischmann verstarb am 17. Oktober 1967 im Alter von 85 Jahren an Herzversagen, kurz vor dem Eintreffen einer Schülerin.

7   Literatur

Barra, Séamas de: Aloys Fleischmann. Dublin 2006.
Barra, Séamas de: Artikel Aloys Fleischmann. In: The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Second Edition, hrsg. von Stanley Sadie und John Tyrell (Executive Editor), Bd. 8, London et al. 2001, 934.
Cork City Libraries (Hrsg.): The Fleischmanns. A Remarkable Cork Family, A Companion to the Fleischmann Centenary Celebration, with contributions by Patrick Zuk, Ruth Fleischmann & Séamas de Barra, Cork 2010.
Cunningham, Joseph P./Fleischmann, Ruth: Aloys Fleischmann (1880-1964). Immigrant Musician in Ireland, Cork 2010.
Cunningham, Joseph P./Fleischmann, Ruth: Aloys Georg Fleischmann (1880-1964): The Contribution of a German Musician to Irish Choral Music Sacred and Secular. In: Fischer, Joachim/Holfter, Gisela (Hrsg.): Creative Influences – Selected Irish-German Biographies. Irish-German Studies, Band 4, Trier 2009, 39-50.
Cunningham, Joseph P./Fleischmann, Ruth: Dachau und Cork (Irland). Drei Musikergenerationen verbinden beide Städte, in: Amperland. Heimatkundliche Vierteljahresschrift für die Kreise Dachau, Freising und Fürstenfeldbruck, Begründet von Dr. Gerhard Hanke, 41. Jahrgang, Heft 2, Dachau 2005, 41-48.
Edelmann, Bernd: Königliche Musikschule und Akademie der Tonkunst in München 1874-1914. In: Schmitt, Stephan (Hrsg.): Geschichte der Hochschule für Musik und Theater München von den Anfängen bis 1945. Tutzing 2005, 111-206.
Fleischmann, Tilly: Aspects of the Liszt tradition. Aylesbury 1991.